Advance Care Planning
„Unser Anliegen ist, dass Sie künftig so behandelt werden, wie Sie das wollen –
auch wenn Sie sich einmal nicht mehr selbst äußern können.“
Gemeinsam konsequent für Patienten-zentriertes Handeln
Medizinische Behandlung sollte patienten-zentriert, also konsequent am Willen des Patienten orientiert sein – auch dann, wenn Patienten ihren Willen aktuell nicht äußern können. Was so selbstverständlich klingt, ist bei genauem Hinsehen eine Herausforderung, die von der Realität vielfach weit entfernt ist. In vielen Fällen kann der Patient in der akuten Situation nicht selbst entscheiden und seine Wünsche an die Behandlung sind nicht bekannt.
Im Jahr 2009 wurde daher das Instrument der Patientenverfügung gesetzlich verankert. In einer Patientenverfügung kann der Wille des Verfassers für zukünftige medizinische Behandlungen verbindlich schriftlich festgelegt werden. Diese Möglichkeit wird heute vielfach nicht oder nicht in handlungsleitender Weise genutzt. Die in den verbreiteten Formularen enthaltenen Festlegungen sind oft wenig aussagekräftig und bleiben daher in der Praxis unwirksam. Viele Menschen füllen die Formulare ohne Beratung aus und wissen nicht genau, was sie darin geregelt haben. Eine ausreichende Kommunikation in den Familien oder anderen sozialen Bezugsystemen findet häufig nicht statt, so dass auch Angehörige und/oder rechtliche Vertreter wenig über den Patientenwillen wissen.
Die Folge ist: Bei vielen Menschen, die lebensbedrohlich erkranken, ist der Behandlungswille nicht hinreichend genau bekannt. Dann gilt, dass medizinisch indizierte lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen sind. Vielfach ist aber unklar, ob die betroffene Person diesen lebenserhaltenden Maßnahmen zugestimmt oder aber es vorgezogen hätte, mit palliativer Begleitung sterben zu dürfen. Dies betrifft insbesondere die vulnerable Gruppe hochbetagter, chronisch kranker und / oder fragiler Menschen. Nicht selten lehnen die Menschen die Risiken oder Belastungen durch medizinische Behandlungen ab, wenn man sie fragt – auch dann, wenn eine Aussicht auf Erfolg gegeben wäre. Auf der anderen Seite gibt es in dieser Gruppe viele Menschen, die bereit sind, für ein Weiterleben zu kämpfen, auch wenn dies mit großen Belastungen verbunden sein kann und der Ausgang z.B. aufgrund der Vorerkrankungen eher ungewiss ist.
Advance Care Planning ist ein neues Konzept, eine gänzlich neue Herangehensweise an die vorausschauende Ermittlung, Dokumentation und Umsetzung des Patientenwillens. Sie wurde in den 1990er Jahren in den USA entwickelt, um dem Patientenwillen nachhaltig zur Geltung zu verhelfen, und ist mittlerweile in vielen westlichen Ländern erfolgreich und zunehmend verbreitet (vgl. zum Beispiel www.respectingchoices.org.).
ACP hat zum Ziel, dass Menschen so behandelt werden, wie sie das möchten – auch dann, wenn sie selbst nicht mehr über ihre medizinische Behandlung entscheiden können.
Das Kernelement von ACP ist ein durch speziell dafür qualifizierte Gesundheitsfachkräfte begleiteter, von Achtsamkeit und Respekt geprägter, kommunikativer Prozess zur Ermittlung und Dokumentation des Patientenwillens.
In diesem Gesprächsprozess kann die vorausplanende Person, unterstützt durch Informationen und Anregungen, herausfinden, ob sie im Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung mit dem Ziel der Lebenserhaltung behandelt werden will oder das Sterben unter palliativer Begleitung zulassen möchte. Besteht grundsätzlich der Wunsch nach lebenserhaltenden Maßnahmen, kann geklärt werden, ob bestimmte Maßnahmen wie z.B. eine Wiederbelebung ausgeschlossen werden sollen.
Solche ACP-Gespräche orientieren sich streng an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der vorausplanenden Person. Der Gesprächsprozess dauert häufig 1-2 Stunden und erstreckt sich in der Regel über mindestens zwei Termine. Weitere Teilnehmer an diesem Gesprächsprozess sind der (Haus-)Arzt, der z.B. zur Besprechung offener medizinscher Fragen hinzugezogen werden kann und den Prozess abschließend mit verantwortet (4-Augen-Prinzip). Als sinnvoll hat sich das Angebot erwiesen, Angehörige und den (zukünftigen) rechtlichen Vertreter einzubeziehen, damit diese die Wünsche des Betroffenen kennenlernen und mittragen können.
Ist die betroffene Person aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht (mehr) in der Lage, selbst über ihre weitere Behandlung zu entscheiden, wird ihrem rechtlichen Vertreter das Gespräch angeboten. Dabei geht es unter größtmöglicher aktiver Einbeziehung des zu Vertretenden darum herauszufinden, was die betroffene Person sich für die zukünftige Behandlung wünscht. Nicht selten ist dazu die Einbeziehung weitere Vertrauenspersonen geboten. In der Regel sind mehrere Gespräche erforderlich, bis die beteiligten Personen sich des Behandlungswillens der betreffenden Person ausreichend sicher ist. Erst dann kann eine aussagekräftige Patientenverfügung bzw. Vertreterdokumentation verfasst werden.
ACP ist also gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) für den Fall künftiger gesundheitlicher Krisen, und spezifisch qualifizierte nicht-ärztliche Gesprächsbegleiter (Englisch: facilitators) sind eine neue Rolle im Gesundheitswesen. Der Prozess der Gesprächsbegleitung ist mit der einmaligen Erstellung einer Vorsorgedokumentation nicht etwa abgeschlossen. Vielmehr wird er im Laufe des Lebens immer wieder aufgenommen, wenn sich die gesundheitliche Situation oder die Lebenswelt des Vorausplanenden und seine Wünsche an medizinische Behandlung verändert haben, oder auch wenn die letzte Aktualisierung bereits einige Jahre zurückliegt.
Damit sich unsere tief verwurzelte Gesundheitskultur künftig so im Sinne einer konsequenten Patienten-Zentrierung verändert, dass allen Personen ACP angeboten werden kann und die von diesen Personen dabei geäußerten und dokumentierten Wünsche auch tatsächlich Berücksichtigung finden, ist nicht weniger als ein kultureller Wandel erforderlich. Dazu sieht ACP konzeptionell neben einer qualifizierten Gesprächsbegleitung auf der Mikro-Ebene auch einen systematischen Implementierungsprozess auf der (institutionellen) Meso- und (regionalen) Makro-Ebene vor, also von Pflegeheimen, Hausarztpraxen, Rettungsdiensten, Krankenhäusern usw. und in deren Miteinander. Alle diese Akteure eines regionalen Netzwerks bedürfen regelmäßiger Informationen und Schulungen, damit sich die konsequente Patienten-Zentrierung von ACP tatsächlich durchsetzt. Dieser Veränderungsprozess ist sehr aufwendig und bedarf der professionellen Steuerung durch einen regionalen ACP-Koordinator.