ACP
Advance Care Planning
Deutschland

Abstracts zur Parallelsitzung 3.4:

Moderation: Dirk Aumann, Praecaveo


„Da hast du nicht die Zeit, erst noch hundert Seiten 30 Jahre altes Dokument zu lesen“ – Herausforderungen für Mitarbeiter*innen im Rettungsdienst

Nicola Rieder, Universitätsmedizin Göttingen

Hintergrund: Notfallsituationen, in denen der Wunsch von Patient*innen am Lebensende (z.B. Verbleib in der Häuslichkeit mit Symptomlinderung) dem rettungsdienstlichen (Transport-)Auftrag gegenübersteht, stellen für das ersteintreffende Rettungsfachpersonal (RDFP) eine herausfordernde Situation dar.
 
Fragestellung: Ziel des Projekts war eine Darstellung von Erfahrungen des RDFP, da der Forschungsfokus meist auf der Situation des (not-) ärztlichen Personals und selten auf der Wahrnehmung des RDFP liegt.
 
Methoden: Qualitatives Studiendesign. Teilstrukturierte Interviews (n=7). Auswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring).
 
Ergebnisse: Zu den herausfordernden Faktoren in Notfalleinsätzen bei Patient*innen am Lebensende zählen für das RDFP Zeit, Wissen/ Information, Personal/ Equipment, fehlende Vorbereitung/Ausbildung, ein rechtlich unsicherer Handlungsrahmen und eine fehlende Anbindung an alternative Strukturen. Vorsorgedokumente sind häufig in Notfallsituationen nicht adäquat anwendbar. Erlebte Unsicherheit wird durch Rollen- und intrafamiliäre Konflikte und die Existenzialität der Situation verstärkt und kann zu Überforderung und psychischer Belastung führen.
 
Schlussfolgerung: Damit es zukünftig bei Notfalleinsätzen bei Patient*innen am Lebensende zu einer geringeren Belastung des RDFP kommt, und gleichzeitig der Wille der Patient*innen berücksichtigt wird, bedarf es der Förderung bzw. Implementierung entsprechender Strukturen im ambulanten Bereich. Dazu gehören u.a. eine verstärkte interdisziplinäre Vernetzung, die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die flächendeckende Umsetzung der gesundheitlichen Versorgungsplanung (Advance Care Planning).

Vorabbeurteilung von Indikationen zur kardiopulmonalen Reanimation in Pflegeeinrichtungen durch Hausärzt:innen – eine qualitative Studie

Marius Koch, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Hintergrund: Keine Behandlung ohne Indikation, keine Behandlung ohne Zustimmung. Dieser Grundsatz gilt auch für Reanimationsversuche (RV). Eine Vorabbeurteilung der Indikation durch Hausärzte (HÄ) in Pflegeeinrichtungen kann eine Möglichkeit darstellen, der Aufgabenverteilung bei Indikationsstellung und Patientenwillen zu begegnen.

Fragestellung: Inwieweit sehen HÄ Umsetzungsmöglichkeiten für eine Vorabbeurteilung von Indikationen einer Reanimation?
In welchem Verhältnis sehen HÄ Bewohnerwillen und medizinische Indikation bei RV?

Methoden: Es wurden 15 leitfadengestützte Interviews mit HÄ aus Thüringen und Niedersachsen durchgeführt, transkribiert und qualitativ inhaltsanalytisch nach Mayring auswertet.

Ergebnisse: HA nutzen aktuell verschiedene Methoden, um RV im Voraus zu planen (z.B. Notfallbögen, Patientengespräche). Strukturierte Vorausplanungen wie ACP sind meist unbekannt und werden aktuell kaum umgesetzt, obwohl ihnen eine hohe Bedeutung zugeschrieben wird. Die Indikation für RV wird selten vorab beurteilt. Bei der Bewertung des Verhältnisses von medizinischer Indikation und Patientenwillen nahmen die HÄ sehr unterschiedliche Haltungen ein.

Schlussfolgerung: Aus Perspektive der HÄ nehmen Vorausplanungen einen wichtigen Stellenwert ein, werden jedoch uneinheitlich umgesetzt. RV werden teils ohne Beurteilung der Indikation angeboten. Die Vorabbeurteilung einer medizinischen Indikation kann ein Einstieg zur strukturierten Versorgungsplanung darstellen.

Notfallbehandlung bei plötzlicher Urteilsunfähigkeit und Ärztliche Notfallanordnung (ÄNO) – zwei Festlegungen, ein Dokument 

MscN Isabelle Karzig, Universitätsspital Zürich / MscN Esther Liem, Curavaris

Hintergrund: Das Festlegen des individuellen Therapieziels für eine Notfallsituation mittels einer Patientenverfügungen ist freiwillig, der Reanimationsstatus muss jedoch in den Krankenhäusern bei allen Patient:innen festgelegt werden, um in einer Notfallsituation deren Therapieziel beachten zu können. Bisher wird in Deutschland und der Schweiz für beide Settings das Formular der «Ärztlichen Notfallanordnung» verwendet, was immer wieder zu Irritationen führt.

Fragestellung: Wie können das Therapieziel von betroffenen Personen und die ärztliche Notfallanordnung rechtlich gültig zusammengeführt und auf einem Formular abgebildet werden?

Methoden: In einem Pilotprojekt wurde das Formular der ÄNO unbenannt in «Notfallbehandlung bei plötzlicher Urteilsunfähigkeit» als Patientenverfügung. Die eigentliche ÄNO wird als Subtitel geführt mit der Möglichkeit der ärztlichen Unterschrift.
Ergebnisse: Die Patientenverfügung und die ÄNO werden durch die Neuaufteilung entflochten und damit für alle Betroffenen klarer und verständlicher.

Schlussfolgerung: Die Revision des Formulars ÄNO wurde von Nutzenden als positiv bewertet, da der verfügende Teil klar unterschieden wird von der ärztlichen Anordnung für eine Notfallsituation. In einem nächsten Schritt sollte überlegt werden, ob die weiteren Formulare der Therapiezielfestlegung ebenfalls in der Praxis evaluiert und Anpassungen zur möglicherweise besseren Verständlichkeit führen könnten.

Notfallausweis für Palliativpatient:innen – Idee und Umsetzung eines deutschlandweit-einheitlichen Ausweises

Dr. Manuela Schallenburger, Universitätsklinikum Düsseldorf

Hintergrund: Vorsorgeinstrumente wie Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sind wichtige Instrumente, um den eigenen Willen für Erkrankungs- oder Notfallsituationen festzuhalten und kundzutun. Palliativpatient:innen haben aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung häufig Kontakt zu professionellen Behandler:innen, sowohl stationär als auch ambulant. In Notaufnahmen oder in einer akuten Notsituation in der häuslichen Umgebung besteht allerdings vielfach keine Beziehung zwischen Behandler:innen und Patient:innen, so dass Grunderkrankung und Prognose meist unbekannt sind. Erschwerend ist, dass grad in solchen Situationen die Patient:innen häufig nicht entscheidungsfähig sind, Entscheidungen aber rasch getroffen werden müssen. Hier kann es sowohl zu ungewollter Übertherapie, aber auch zu einer Unterversorgung kommen, wenn rein supportive Maßnahmen trotz bestehender Indikation und Patient:innenwunsch für lebensverlängernde Therapien, als Therapieziel angenommen werden. 
Für solche Situationen kann eine Verfügung, die auf den Notfallbereich angepasst ist, sinnvoll sein. Aktuell gibt es in Deutschland mehrere hundert verschiedene palliativmedizinische Notfallausweise sowie „Anordnungen für den Notfall“. Diese sind, wenn überhaupt, nur lokal und nicht flächendeckend implementiert, uneinheitlich gestaltet und die Rechtsverbindlichkeit ist häufig unklar. 

Projektziel: In der Zusammenarbeit der AG Intensiv- und Notfallversorgung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der AG Ethik der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e.V., der ACP Deutschland, sowie unter Absprache mit weiteren AGs, soll ein bundesweit einheitlicher Notfallausweis entwickelt werden. Dieser soll die Umsetzung des Patient:innenwillens bei Palliativpatient:innen in Notfallsituationen verbessern. 
Um dieses Ziel zu erreichen werden in einem mehrschrittigen Verfahren zunächst eine Bestandsanalyse durchgeführt und im Anschluss ein gemeinsames Instrument entwickelt, dass zunächst in Pilotstädten inclusive Schulungen implementiert werden soll. Eine wissenschaftliche Begleitung ist geplant. 
Im Vortrag wird der aktuelle Stand des Projektes dargestellt.